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Bertolt Brecht und Thomas Mann auf einer Seite! Die Stuttgarter Stimme vom 3. August 1945
- Edited by Markus Wessendorf, University of Hawaii, Manoa
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- Book:
- The Brecht Yearbook / Das Brecht-Jahrbuch 47
- Published by:
- Boydell & Brewer
- Published online:
- 15 June 2023
- Print publication:
- 22 November 2022, pp 1-5
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- Chapter
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Summary
Ein philologisch und zeitgeschichtlich interessantes Dokument bereichert seit Kurzem die Brechtsammlung der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg: ein Exemplar der Zeitung Stuttgarter Stimme vom 3. August 1945, herausgegeben von der amerikanischen Armee. Die Zeitung erschien wöchentlich, die Ausgabe vom 3. August 1945 ist die erste Nummer überhaupt. Auf einer vornehmlich der deutschen Kultur gewidmeten Seite ist ein Gedicht Brechts aus der Szenenfolge Furcht und Elend des Dritten Reiches “vereint” mit jenem Offenen Brief an Thomas Mann von Walter von Molo, der wesentlich zur Entfachung des Streites um die sog. deutsche “innere Emigration” beitrug. Bei beiden Texten handelt es sich um den bisher nicht nachgewiesenen Erstdruck in Deutschland.
Die Provenienz des Dokuments ist rasch erläutert und keineswegs außergewöhnlich bei solchen Fällen: Der einstige Besitzer des Blattes, der in der Umgebung Stuttgarts lebte, warf die Zeitung nicht weg, sondern hob sie aus unbekannten Gründen auf; vielleicht, weil auf der ersten Seite über das weltbewegende Potsdamer Abkommen berichtet wurde, das genau einen Tag vorher, also am 2. August 1945, getroffen wurde. Dann geriet die Zeitung offensichtlich in Vergessenheit; über mindestens eine Generation hinweg. Als kürzlich, mehr als 75 Jahre nach Erscheinen des Blattes, ein Nachlass zu ordnen bzw. zu entsorgen war, fiel das Blatt auf. Der Finder “rettete” es und übergab es der Stadt Augsburg als Schenkung.
Brecht begann seine Arbeit an Furcht und Elend des Dritten Reichs 1938 und schrieb über Jahre hinweg immer neue Szenen, die teilweise austauschbar waren und von denen im Exil immer wieder einzelne aufgeführt wurden. Das Gedicht Lied der “Besatzung des Panzerkarrens,” hier abgedruckt unter dem Titel “Lied der Panzerjäger,” entstand im Frühjahr 1942. Brecht schrieb es für solche amerikanischen Aufführungen einzelner Szenen von Furcht und Elend. Gedruckt wurde das Gedicht erstmals in der englischen Übersetzung von Furcht und Elend, die 1944 erschien; evtl. aber auch schon 1942 in der Exilzeitschrift Tribüne für freie deutsche Literatur und Kunst in Amerika.
1945 erschien dann in New York, beim Aurora-Verlag, die erste deutsche Fassung von Furcht und Elend des Dritten Reichs, in der das Lied enthalten ist. Zuvor jedoch gab es in Deutschland einzelne Abdrucke in deutscher Sprache, in Zeitungen, die gleichfalls unter der Aufsicht der USamerikanischen Militärverwaltung standen. Als erster deutscher Druck galt bis jetzt der in der Münchner Zeitung vom 4. August 1945, dann gab es noch einen weiteren wenige Tage später, am 8. August in der Allgemeinen Zeitung in Berlin.
Chapter 1 - Brecht’s Augsburg Years
- from Part I - Brecht’s World
- Edited by Stephen Brockmann, Carnegie Mellon University, Pennsylvania
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- Book:
- Bertolt Brecht in Context
- Published online:
- 28 May 2021
- Print publication:
- 10 June 2021, pp 17-25
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- Chapter
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Summary
This article explores Brecht’s origins and life in Augsburg from the time he was born in 1898 until he left Augsburg for Berlin in 1924. Brecht came from a well-educated and prosperous middle-class family, and he was raised as a Lutheran by his mother, although he soon rejected any form of Christian religious belief. From an early age he demonstrated great promise and ambition as a writer and soaked up influences from all around him, including the fairs that occurred in Augsburg on a regular basis. He read widely and was influenced by what he read. Among his most important influences were Frank Wedekind, Georg Büchner, Rudyard Kipling, Friedrich Nietzsche, François Villon, Arthur Rimbaud, and Paul Verlaine.In his adolescence Brecht became the center of a group of friends in Augsburg devoted to literature, music, and a nonconformist approach to life. In Augsburg Brecht experienced the Bavarian Revolution after the end of World War I.Brecht’s first plays Baal and Drums in the Night reflect some of his experiences and thoughts while living in Augsburg, and his revolutionary first book of poetry, Domestic Breviary, also emerged above all out of his life in Augsburg.
Wer ist Oscar? Ein unveröffentlichter Brief an Brecht vom 12. Juni 1918 aus schottischer Kriegsgefangenschaft
- from New Brecht Research
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- By Jürgen Hillesheim, der Universität Augsburg
- Edited by Theodore F. Rippey
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- Book:
- The Brecht Yearbook / Das Brecht-Jahrbuch 40
- Published by:
- Boydell & Brewer
- Published online:
- 11 March 2017
- Print publication:
- 08 December 2016, pp 68-83
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- Chapter
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Summary
Neue Forschungsergebnisse resultieren in der Regel aus neuen Funden, neu erworbenen Manuskripten, Dokumenten oder aus philologischer Arbeit, aus Textanalysen oder dem Nachweis unbekannter Quellen und Anregungen, die Eingang in ein dichterisches Werk fanden. Dass die Wissenschaft—zugegebenermaßen wohl eher unfreiwillig—aufgrund von Nachlässigkeit und Ungenauigkeit auch imstande sein kann, relevante Zusammenhänge, die Leben und Werk eines Autoren betreffen, zu verschleiern, sogar auf falsche Fährten zu führen, sollte die Ausnahme sein. Es kommt aber vor, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, und im Falle Brechts gar nicht einmal so selten. Mit anderen Worten: Es handelt sich dann um neue Erkenntnisse, die gerade durch Infragestellung, durch die Widerlegung und Aufhebung wissenschaftlicher Befunde zustande kommen, durch Falsifizierung eines vermeintlich bereits gewonnenen Erkenntnisstands. Wie gesagt: Das ist wohl eher ungewöhnlich; doch recht spannend und im Resultat ergiebig ist es allemal.
Eine der wichtigsten Erwerbungen der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg für deren Brechtsammlung ist zweifellos der Teilnachlass von Brechts Bruder Walter. Möbelstücke gehörten zu ihm, das Tauf- und Konfirmationsbesteck Brechts, ein Fotoalbum seiner Familie, aber auch ein auffallend umfangreiches Konvolut von zum Zeitpunkt der Erwerbung nicht veröffentlichen Briefen: Es waren insgesamt dreißig Briefe Brechts an seine Augsburger Jugendliebe Paula Banholzer, aber auch sieben Briefe des Augsburger Freundes Fritz Gehweyer an Brecht, vier Briefe von Augsburger Mädchen und Frauen an den jungen Dichter1 und ein singulärer Brief, der ihn in Augsburg am 12. Juni 1918 aus der Kriegsgefangenschaft erreicht hatte.
Oscar Lettner, Brief an Bertolt Brecht, Stobs (Schottland), 12. Juni 1918.
Stobs, 12. Juni 1918.
Mein lieber Eugen.
Da bin ich nun seit über einem Jahre “geschnappt,” wie der Stobser Fachausdruck für gefangen lautet. Als sogen. Oberprisoner steige ich nunmehr im Lager herum und beteilige mich als künftiger Holland- Anwärter auch schon an den beliebten Austauschgesprächen. Freilich heißt es noch mindestens ein halbes Jahr absitzen. Nun ja, vielleicht ist der große Austausch direkt nach der Heimat näher als wir glauben.— Hier herrscht das schönste Wetter seit einigen Tagen. Ich sitze täglich im Freien und lasse mich von der Sonne braun brennen. Dann schließen sich meist die Augen & Bilder aus der Heimat ziehen vorüber: unsere Jugendjahre, mit den tollen Streichen, die Tage auf dem Jakoberwall, der Plärrer, mein Urlaub … All diese lieben Bilder folgen rasch aufeinander & die Sehnsucht nach der Heimat wird immer brennender.
Von Liù zum “jungen Genossen.” Giacomo Puccinis Turandot und Bertolt Brechts Die Maßnahme
- from New Brecht Research
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- By Jürgen Hillesheim, Brecht-Forschungsstätte Augsburg
- Edited by Theodore F. Rippey
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- Book:
- The Brecht Yearbook / Das Brecht-Jahrbuch 39
- Published by:
- Boydell & Brewer
- Published online:
- 24 October 2017
- Print publication:
- 15 March 2016, pp 150-167
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- Chapter
- Export citation
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Summary
Das ursprünglich aus dem Persischen stammende Märchen von der schönen, aber grausamen, männermordenden Prinzessin Turandot inspirierte bekanntermaßen auch das Werk Brechts, und wie fast immer nutzte er eine Vorlage, um auf der Basis ihres Stoffes gesellschaftliche Gesetzmäßigkeiten zu demonstrieren, sie offenzulegen und sie damit potenzieller Veränderbarkeit auszusetzen. Weit entfernt ist das Stück von der Tradition, schon der Titel Turandot und Der Kongress der Weißwäscher verdeutlicht programmatisch, dass der Bereich des Mythischen und Märchenhaften verlassen, parodiert, gar unterminiert wird zugunsten sozialer Belange. Es geht nicht mehr um Geheimnisvolles, sondern um die Fähigkeit, marktwirtschaftliche Mechanismen zu verschleiern, was von den “Weißwäschern” erwartet wird. Diese stehen im Zentrum der Handlung, nicht mehr Turandot, die, uninteressant geworden, längst keine Heldin in schillerscher Manier mehr ist. Das Drama kam erst 1953, als eines der letzten und nicht unbedingt besten Brechts, zustande; den Stoff jedoch kannte er bereits seit 1922/23, und er plante eine dramatische Bearbeitung, bei deren Inszenierung Carola Neher die Titelrolle übernehmen sollte. Die konkreten Quellen, auf die Brecht zurückgriff, waren Carlo Gozzis Turandot-Drama, das sich in Brechts Nachlass-Bibliothek mit handschriftlichem Vermerk von 1925 befindet, die Schiller-Bearbeitung und die 1925 erschienene Bearbeitung von Waldfried Burggraf.
Von Puccinis Oper, 1926 in Italien und Deutschland uraufgeführt, ist nicht die Rede, und es sind in Brechts Drama auch tatsächlich keinerlei Ent- oder Anlehnungen an dieses Werk nachweisbar. Dies sei in dieser Eindeutigkeit festgestellt, und das erscheint auch nicht unbedingt als verwunderlich: Was soll Brecht schließlich bei oberflächlicher Betrachtung mit dem ehemals exponierten Vertreter des verismo, der dessen Gesellschaftsbezogenheit mit Turandot gar zugunsten mythologischer Muster scheinbar vollends verließ, Rodolfos und Mimís Bohéme-Milieu durch Märchenhaftes austauschte und mit seiner Musik die doch so verpönte Kulinarik ein weiteres Mal auf die Spitze treiben wollte? Der Gegensatz könnte doch nicht größer sein: Puccini emotional, Brecht rational, so die wohlfeile Formel, und damit ist das Wesentliche gesagt. Wie hätte beispielsweise Hanns Eisler reagiert, wäre Brecht ihm noch mit Puccini gekommen, nahm er doch schon in gewisser Weise Anstoß an Brechts nicht zuletzt affektiver Rezeption der Musik Bachs? Den konnte Eisler vor seinem marxistischen Horizont dann weitestgehend auf das Funktionale, etwa das Gestische, reduzieren, aber Puccini? Letztlich ist er doch, vor kommunistischem Hintergrund, eine persona non grata, bezüglich des Werkes Brechts in dieser Hinsicht vergleichbar mit Nietzsche und Kafka.