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Julia Freytag, Inge Stephan, and Hans-Gerd Winter, eds. J. M. R. Lenz-Handbuch. Berlin: De Gruyter, 2017. 759 pp.
- from Book Reviews
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- By Walter Tschacher, Chapman University
- Edited by Patricia Anne Simpson, Birgit Tautz
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- Book:
- Goethe Yearbook 26
- Published by:
- Boydell & Brewer
- Published online:
- 26 June 2019
- Print publication:
- 17 June 2019, pp 330-332
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Summary
Eine der bemerkenswertesten Entwicklungen in der neueren deutschen Literaturwissenschaft ist die hohe Anerkennung, die Lenz heute nach über 200-jähriger Marginalisierung erfährt. An fundierten Versuchen, Lenz nicht als Versager oder als “Goethe-Satelliten” (Kohlschmidt) zu sehen, hat es nicht gefehlt, aber diese Versuche konnten das vorwiegend negative Lenzbild kaum korrigieren. Noch 1980, im 3. Band der von Rolf Grimminger herausgegebenen Sozialgeschichte der deutschen Literatur, wird der Name Lenz eher beiläufig erwähnt. Zehn Jahre später widmet ihm der 6. Band der DeBoor/Newaldschen Geschichte der deutschen Literatur bereits umfangreiche Erläuterungen, die die Eigenständigkeit Lenzens hervorheben. So heißt es hier beispielsweise: “Nicht Goethe, sondern Lenz schreibt die wichtigsten sozialkritischen Dramen der Epoche, nicht Goethe, sondern Lenz macht Reformvorschläge” (493). Damit wird eine neue Bewertung Lenzens eingeleitet, die mit dem vorliegenden Handbuch ihren vorläufigen Höhepunkt findet. Dass Lenz erst heute voll anerkannt und gewürdigt wird, hat damit zu tun, dass er als “Nomade zwischen den Sprachen und Kulturen … den Typus eines Autors [verkörpert], der gegenwärtig Konjunktur hat” (vii).
An diesem langjährigen Lenzprojekt waren 29 Autoren beteiligt, was einerseits zu zahlreichen “organisatorischen Koordinationsprobleme[n]” (x) geführt hatte, andererseits aber schließlich ein umfang- und perspektivenreiches Werk hervorbrachte. Zum Vergleich: Das 2009 bei Metzler erschienene und ähnlich strukturierte Büchner-Handbuch hat nur den halben Umfang des Lenz- Handbuches. Überschneidungen sind bei einer derart großen Anzahl von Mitarbeitern unvermeidlich. Z.B. wird der Aspekt “Aufklärung” sowohl in “Themen” als auch in “Lenz in der Wissenschaft” behandelt. Das ist jedoch insofern akzeptabel, als es sich hier nicht um Redundanzen handelt, sondern um die Darstellung bestimmter Themen aus unterschiedlichen Perspektiven.
Die zentralen, für Handbücher dieser Art typischen Schwerpunkte sind Autor, Werke, Themen und Rezeption. Eine Zeittafel zu Leben und Werk, eine Lenzbibliographie sowie das Register beschließen den Text. Das Handbuch geht auf alle Schriften ein, die Lenz zugeordnet werden können. Nicht nur veröffentlichte Werke werden besprochen, sondern auch Fragmente und Entwürfe. Allerdings bemängeln die Autoren mehrmals das Fehlen einer historischkritischen Gesamtausgabe, die für eine zuverlässige Forschung unabdingbar ist, und solange sie bloßes Desiderat bleibt, auch die Forschung etwas in der Schwebe hält.
Katharina Mommsen, Goethe und der Alte Fritz. Leipzig: Lehmstedt, 2012. 231 S.
- Edited by Adrian Daub, Elisabeth Krimmer
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- Book:
- Goethe Yearbook 22
- Published by:
- Boydell & Brewer
- Published online:
- 27 May 2021
- Print publication:
- 01 July 2015, pp 271-273
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Summary
An Arbeiten über Goethe und Friedrich II. hat es bisher nicht gefehlt. Die Autorin führt nicht nur die wichtigsten der zwischen 1878 und 2004 erschienenen Titel im Anhang ihres Buches auf, sie setzt sich auch mit mehreren davon auseinander. Ihre “bescheidene” Absicht sei es, die Aufmerksamkeit “vor allem auf die Berührungspunkte und Reibungsflächen zwischen Goethe und dem preußischen König zu richten …, obwohl beide Männer einander nie begegnet sind” (10). Es handle sich um einen Aspekt, der bisher nicht detailliert genug untersucht worden sei. Katharina Mommsen analysiert den Prozess dieses ungewöhnlichen Verhältnisses, beginnend mit dem siebenjährigen Goethe, der sich anfangs als Verehrer Friedrichs ausgibt, über den Goethe der Straßburger und Weimarer Zeit, der sich zunehmend von Friedrich distanziert, bis zum 73-Jährigen, der mit Friedrich ins Reine gekommen ist und jetzt ohne Ironie vom “großen Todten” spricht.
Goethe widmet einen großen Teil des ersten Abschnitts von Dichtung und Wahrheit der Wirkung, die Friedrich auf seine Familienverhältnisse ausübte. Der Siebenjährige Krieg führte zu einem Konflikt zwischen Goethes Vater und Großvater, wobei sich der Vater auf die Seite Preußens und der Großvater auf die Österreichs schlug. Nach einem zeitgenössischen Bericht kam es sogar zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen beiden Familienmitgliedern. Aus einem zeitlichen Abstand von beinahe 60 Jahren bemerkt Goethe zu dieser für ihn formativen Zeit: “Und so war ich denn auch preußisch, oder um richtiger zu reden, Fritzisch gesinnt: denn was ging uns Preußen an” (14). Die Darstellung dieses frühen Kindheitserlebnisses zeugt deutlich von der später zu beobachtenden “Grundtendenz der Selbsthistorisierung” (Borchmeyer) Goethes. Das Vergangene lässt sich nur aus der Perspektive des sich erinnernden Subjektes erklären. Sollte das Erinnerungsvermögen versagen, so gelte es, sich auf das dichterische Vermögen zu verlassen und es werde daher klar, “daß man mehr die Resultate … als die Einzelheiten, wie sie sich damals ereigneten, aufstellen und hervorheben werde” (MA 16, 916). Goethe betont, dass die familiären Auseinandersetzungen über Friedrich II. zu seiner lebenslangen Abneigung, politisch Partei zu ergreifen, geführt hätten. Bereits hier ist aber auch seine Faszination für “Persönlichkeiten” erkennbar, selbst solche, “die seinem eigenen Wesen vollkommen entgegengesetzt waren” (181).
Im Kontext der Literaturpolitik Friedrichs, das heißt einerseits seiner Verachtung der deutschen und andererseits seiner Verehrung der französischen Literatur, tritt zwangsweise auch Voltaire in den Vordergrund.
Jost Schillemeit, Studien zur Goethezeit. Ed. Rosemarie Schillemeit. Göttingen: Wallstein Verlag, 2006. 620 pp
- from Book Reviews
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- By Walter Tschacher, Chapman University
- Edited by Daniel Purdy
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- Book:
- Goethe Yearbook 17
- Published by:
- Boydell & Brewer
- Published online:
- 14 March 2018
- Print publication:
- 15 January 2010, pp 403-405
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- Chapter
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Summary
Der Großteil der hier vorgelegten sechsundzwanzig Studien des 2002 verstorbenen Germanisten Jost Schillemeit wurde bereits zu seinen Lebzeiten veröffentlicht. Der älteste Aufsatz erschien 1964, der jüngste ein Jahr vor seinem Tod. Die Herausgeberin betont, dass “der Verfasser … an eine Sammlung dieser Studien nicht gedacht” (616) habe. Dennoch handelt es sich bei diesen Arbeiten um alles andere als eine überflüssige Publikation. Knappe vierzig Jahre war Schillemeit sowohl aus Autor als auch Herausgeber eine wichtige Stimme in den literaturwissenschaftlichen Debatten Deutschlands. Ob es sich nun um Rezensionen oder Beiträge in Buchlänge handelte, stets argumentierte Schillemeit auf hohem wissenschaftlichem Niveau. Schon aus diesem Grund lohnen die nicht mehr leicht zugänglichen oder vergriffenen Texte eine erneute Lektüre.
Die Disparatheit der verschiedenen Studien lässt sich auch durch die Gliederung in fünf Schwerpunkte (Poetik und Hermeneutik / Studien über Goethe / Verfasser von Bonaventuras Nachtwachen / Studien über Heine, Mörike, Gutzkow, Fontane, Raabe / Philologische Streifzüge) nicht verbergen. Ins Positive gewendet, könnte man sagen, dass dieser Band Schillemeits äußerst facettenreiche Arbeit dokumentiert. Kritiker mögen ihm zwar ein nicht allzu ausgeprägtes Theoriebewusstsein vorwerfen, Schillemeit zeigt allerdings auch Qualitäten, die unabhängig von theoretischen Standpunkten auch heute noch gewürdigt werden sollten, nämlich stupende Belesenheit und manchmal geradezu an Pedantik grenzende Genauigkeit beim Lesen. Was er für eine Mörikelektüre empfiehlt, trifft auch auf seine eigenen Arbeiten zu: “Man kann und man sollte jedes Wort … ganz genau nehmen” (485).
Es ist hier nicht möglich und sicher auch nicht notwendig, auf alle Aufsätze einzugehen und ich beschränke mich daher auf einige ausgewählte Beispiele, die Schillemeits Arbeitsweise genauer beschreiben. Zu einer seiner bekanntesten Veröffentlichungen gehört “Bonaventura. Der Verfasser der Nachtwachen.” In der fast hundertdreißigseitigen Studie liefert er einen überzeugenden Indizienbeweis für August Klingemann, einen nicht ganz zu Unrecht vergessenen Schriftsteller, als den Autor der Nachtwachen. Nachdem er im Detail die bisherigen Identifikationsversuche—z. B. galt Schelling lange Zeit als der Autor—beschreibt und widerlegt, beginnt er seine eigene, fast schon detektivische Suche nach dem unbekannten Autor. Die Vertrautheit mit Klingemanns Werk erlaubt Schillemeit, derart zahlreiche wörtliche und inhaltliche Parallelen in Klingemanns Schriften und den Nachtwachen nachzuweisen, dass es heute schwer fallen dürfte, Klingemann nicht für den Verfasser der Nachwachen zu halten. Eine Fußnote am Ende der Studie erwähnt einen Handschriftenfund in der Amsterdamer Universitätsbibliothek, in dem Klingemann sich selbst als den Autor der Nachtwachen bezeichnet, und damit wohl die Diskussion über dieses Thema beendet.