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Die Griechengötter und die Gerechtigkeit

Published online by Cambridge University Press:  23 August 2011

Martin P. Nilsson
Affiliation:
Lund, Sweden

Extract

Das Fehlen eines rechten Verhältnisses zwischen den Göttern und der Gerechtigkeit ist ein Hauptproblem in der Geschichte der griechischen Religion. Es trug in hohem Mass zu ihrer Auflösung bei. Die Griechen setzten sich mit wahrer Leidenschaft für die Gerechtigkeit ein, meistens in der Form der vergeltenden Gerechtigkeit, παθέῖν τὸν ἔρξαντα. Das kommt auch zum Ausdruck in dem zuerst von Solon ausgesprochenen und seitdem oft wiederholten Wunsch: “Möge ich meinen Freunden süss, meinen Feinden bitter sein.” Unsrer christlich beeinflussten Moral ist er befremdlich. Es hängt dies mit ihrer mehr oder weniger demokratischen Staats- und Gesellschaftsform zusammen. In anderen Religionen fehlt das Problem: zwar wird die Gerechtigkeit hoch geschätzt, ein jeder wünscht ein gerechtes Urteil, man beugt sich aber vor der Macht der Götter, der Herrscher, der Priester, ohne weiter zu fragen. In Griechenland gab es keine Priesterschaft, die Priester waren Bürger wie die anderen Glieder des Staates. Das Königtum war früh geschwunden oder machtlos geworden. Der Tyrann wurde als eine Ausgeburt der Ungerechtigkeit betrachtet, und auch ein legitimer König, der sich eine ausserordentliche Machtstellung erworben hatte wie Pheidon, wurde für einen Tyrannen gehalten. Die Autorität, die etwas anderes als die blosse Macht ist, verkörpert sich am ehesten in einem Einzelnen, weniger in einer Körperschaft, wie es der Adelsstaat war, noch weniger in einer launenhaften Volksversammlung. So geht das Verlangen nach Gerechtigkeit Hand in Hand mit der Demokratisierung, erstarkt mit dieser und endet mit ihr in der Nivellierung.

Type
Research Article
Copyright
Copyright © President and Fellows of Harvard College 1957

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References

1 Aeschylus, Agam., v. 1564.

2 Solon, fr. 1 Diehl3, 13 Bergk4, v. 5. εὶναι δὲ γλυκὺν ῶδε øίλοις, ἐχθροῖσι δὲ πικρόν, τοῖσι μὲν αἰδοῖον, τοῖσι δὲ δεινὸν ἰδεῖν.

3 Trenton, H. J., Poine, A Study in Ancient Blood-Vengeance, 1923Google Scholar.

4 Über die Bedeutung und Bedeutungsverschiebung des Wortes siehe den Anhang S.ff.

5 J. E. Harrison, Themis, S. 485.

6 Palmer, L. R., The Indo-Europaean Origins of Greek Justice, Transactions of the Philological Society, London 1950, pp. 149 ff.Google Scholar, kommt in einer etymologisch-semasiologischen Untersuchung zu dem Ergebnis, dass δίκη zu δείκνυμι gehört und ursprünglich ‘mark, boundary mark, indication’ bedeute; dies hänge zusammen mit der griechischen Anschauung von einer Ordnung in der Natur und im menschlichen Leben, in der jeder Einzelteil seinen bestimmten Platz hat.

7 Xenophanes, fr. 11 und 12 Diels.

8 Ehrenberg, V., Die Rechtsidee im frühen Griechentum, 1921, S. 10 f.Google Scholar

9 Wilamowitz, Vgl., Hesiodos' Erga, 1928, S. 65 ff.Google Scholar

10 Theog. 80 f., οῖ δέ τε λαοἰ πάντες ἐς αὐτὸν ὸρῶσι διακρίνοντα θέμιστας ἰθείησιδίκῃσι. Die ursprüngliche konkrete Bedeutung von κρίνω ist “auslesen,” “sichten,” hier also “unter den Normen die richtigen auswählen.”

11 Vgl. Op. 262, δίκας σκολιῷς ἐνέποντες, 250, ὅσοι σκολίῃσι δίκῃσιν ἀλλήλουςτρίβουσι.

12 Op. 39, 249, 269, 254 = (124).

13 Siehe meinen Aufsatz Vater Zeus, Arch. f. Religionswissenschaft, XXXV, 1938, S. 156 ff., wieder abgedruckt in meinen Opuscula selecta, ii, 1952, S. 710 ff.

14 Siehe das Verzeichnis Bruchmanns im Anhang zu Roscher, Lexikon der Mythologie; in Fehrles Liste ebd. s.v. Zeus fehlt das Wort, weil poetisch.

15 Das muss δίκαι hier bedeuten. Hesiod beginnt mit einer Hinwendung an die βασιλῆες, die seinen Rechtshandel mit seinem Bruder abgeureteilt hatten.

16 Oxyrh. Papyri, XX, Nr 2256; s. E. Fraenkel, Eranos, LII, 1954, S. 64 ff., bes. S. 74.

17 Euripides, Melanippe, fr. 506 Nauck3.

18 S. meine Gesch. d. griech. Religion, i, S. 775, 2. Aufl. S. 283, bzw. II, S. 186.

19 Ilias, I, 156; Archilochos, fr. 79 a Diehl3. B. Snell, Die Entwicklung des Geistes, S. 70 A. 1, bzw. S. 80.

20 Archilochos fr. 94 Diehl3.

21 Anaximandros fr. 1 Diels, ἐξ ῶν δὲ γένεσίς ἐστι τοῖς οὖσι, καὶ τὴν øθορὰν εἰςταῦτα γὶνεσθαι κατὰ τὸ χρεών διδόναι γὰρ αὐτὰ δίκην καὶ τίσιν ἀλλήλις τῆςἀδικίας κατὰ τὴν τοῦ χρόνου τάξιν.

22 Solon fr. 3 Diehl3. Jaeger, W., Solons Eunomie, Sitz.-ber. Akad. Berlin, 1926, S. 69 ffGoogle Scholar.

23 Man darf dabei nicht an die Begierden und die Unzufriedenheit des niederen Volkes nach der Reform denken.

24 Hesiod, Op. 256 ff. bzw. 217 f.

25 Diese Bedeutung hat das Wort ἕλκος oft.

26 Zum Folgenden siehe ausführlicher den Abschnitt “Religiöse Lebensanschauung” in meiner Gesch. d. griech. Religion, I, S. 69s ff., 2. Aufl. S. 734 f.

27 Archilochos, fr. 58 Diehl3; die Worte, die auf τοῖς θεοῖς folgen, sind heillos korrupt.

28 Thuk., II, 64,4.

29 Hirzel, R., Themis, Dike und Verwandtes, 1907Google Scholar. Ehrenberg, V., Die Rechtsidee im frühen Griechentum, 1921Google Scholar.

30 L. Schmidt, Die Ethik der Greichen, I, S. 337, zitiert von Hirzel, S. 19 A 1.

31 J. E. Harrison, Themis, S. 485.

32 Ilias, ii, 206; ix, 99. σκῆπτρον ἠδὲ θέμιστας, ἵνα σøίσι βουλεύησθα.

33 Ilias, i, 238 f., ἐν παλάμαις øορέουσι δικασπόλοι, οἵ τε θέμιστας πρὸς Διὸς εὶρύαται.

34 Ilias, ix, 156 f. = 297 f., λιπαρὰς τελέουσι θέμιστας.

35 Odyssee, xi, 569, χρύσεον σκῆπτρον ἔχοντα θεμιστεύοντα νἐκυσσιν.

36 Ilias, xvi, 384 ff., οἳ βίῃ εἰν ὰγορῆ σκολιὰς κρίνωσι θέμιστας.

37 Ehrenberg, a. a. O. S. 69 f. bemerkt dies richtig und führt wörtliche Parallellen bei Hesiod an.

38 Hesiod, Op. 221, σκολιῆς δὲ δίκῃς κρίνωσι θέμιστας.

39 Hesiod, Theog. 234 ff., οὕνεκα νημερτής τε καὶ ἤπιος, οὐδὲ θεμιστέων λήθεται, ἀλλὰ δίκαια καὶ ἤπια δήνεα οἰδεν.

40 Hesiod, Op. 135 ff., οὐδ᾽ ἀθανάτους θεραπεύειν ἤθελον οὐδ᾽ ἔρδειν μακάρων ἱεροῖςἐπὶ βωμοῖς, ἡ θέμις ἀνθρώποις κατὰ ἤθεα. Die Deutung Ehrenbergs a. a. O. S. 17, dass der Kult an verschiedenen Orten verschieden sei, ist nicht begründet. Das Wort hat dieselbe Bedeutung Theog. 396, Scut. 22, 447.