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„Jüdische Güterschlächterei” im Vormärz

Vom Nutzen des Stereotyps für wirtschaftliche Machtstrukturen, dargestellt an einem westfälischen Gesetz von 1836*

Published online by Cambridge University Press:  05 January 2009

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In den Kreisen Paderborn, Büren, Warburg und Höxter des Regierungsbezirkes Minden der preußischen Provinz Westfalen wurde den Juden im Jahre 1836 durch eine Kabinettsordre Friedrich Wilhelms III. der Erwerb bäuerlicher Grundstücke verboten. Diese Kabinettsordre vom 20. September 1836 mit dem Titel: „Wegen Beseitigung der aus der Ansiedlung der Juden auf dem platten Lande und deren Verkehr mit den Landbewohnern bäuerlichen Standes entsprungenen Mißverhältnisse” bestimmte:

1. Die Juden dürfen in den genannten vier Kreisen bäuerliche Grundstücke nur dann erwerben, wenn sie dieselben selbst mit jüdischem Gesinde bewirtschaften.

2. Schuldverträge zwischen Bauern und Juden können von diesen nur dann gerichtlich eingeklagt werden, wenn sie vor einem Richter am Wohnort des Schuldners aufgenommen worden sind. Die Aufnahme in das Schuldregister ist bei Verdacht von Wucher zu versagen.

Type
Research Article
Copyright
Copyright © Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis 1985

Footnotes

*

Diese Arbeit ist im Rahmen des Forschungsprojekts „Die Bilder von Juden und Judentum in der deutschen popular culture des 19. Jahrhunderts” entstanden. Das Projekt wird unter der Leitung von Prof. Dr Herbert A. Strauss am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin bearbeitet und von der Stiftung Volkswagenwerk sowie der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziell gefördert.

References

1 Ludwig von Rönne und Heinrich Simon, Die früheren und gegenwärtigen Verhältnisse der Juden in den sämtlichen Landestheilen des Preuβischen Staates. Eine Darstellung und Revision der gesetzlichen Bestimmungen über ihre staats- und privatrechtlichen Zustände, Breslau 1843, S. 388f. Die Autoren kommentieren diese Einschränkung der staatsbürgerlichen Rechte der Juden als im Widerspruch stehend zu Artikel 16 der deutschen Bundesakte.

2 Ähnliche Annahmen zur jüdischen Wirtschaftstätigkeit lagen bereits dem “Décret infame” Napoleons vom 17. März 1808 zugrunde, das in den linksrheinischen Gebieten in Kraft gewesen war, von der preuβischen Verwaltung 1818 und 1828 verlängert wurde und ein grundsätzliches Miβtrauen gegen das jüdische Geschäftsgebaren (“Wucher”) bis in die vierziger Jahre des neunzehnten Jahrhunderts hinein zur Rechtsnorm erhob. Das Dekret ist abgedruckt bei Rönne und Simon, Die früheren und gegenwärtigen Verhältnisse der Juden, S. 370ff.; vgl. ferner Rolf Hahn, “Das, schändliche Dekret' vom 17.3.1808 und seine Auswirkung auf die rechtliche Stellung der Juden”, Diss. Köln 1967.

3 Vgl. Herzig, Arno, Judentum und Emanzipation in Westfalen, Münster 1973, S. 33fGoogle Scholar. Für die Emanzipationsdebatte über die Juden in Preuβen spielte die Erklärung der westfälischen Provinzialstände eine bedeutende Rolle. Es wurde behauptet, hier sei von einem öffentlichen Repräsentationsorgan die Schädlichkeit der jüdischen Wirtschaftstätigkeit nachgewiesen worden und deshalb dürfe die rechtliche Gleichstellung der Juden nicht erfolgen. So publizierte z.B. Karl Streckfuβ der Erklärung der Stände mehrmals und stellte dabei jeweils das ungünstige westfälische Gutachten – gegen die historische Reihenfolge – an den Anfang. Streckfuβ, Karl, Über das Verhältnis der Juden zu den christlichen Staaten, Halle 1833, Anhang S. 45ff.Google Scholar; ders., “Die Erklärung der Stände sämtlicher Provinzen der preuβischen Monarchie über die bürgerlichen Verhältnisse der Juden”, im Anhang zum Archiv für die neueste Gesetzgebung aller deutscher Staaten, Bd 5, Heft 1 (1834), S. 114–40.

4 Herzig, Judentum und Emanzipation, S. 23ff. Herzig belegt im einzelnen die Manipulation der Daten (z.B. der Berufs- und Kriminalstatistik) durch die Behörden und deren vorurteilsvolle Berichterstattung über die bürgerlichen Verhältnisse der Juden. Es fällt auf, daβ die von den örtlichen Behörden (Bürgermeistern) abgegebenen Stellungnahmen eine realistischere und wohlwollendere Haltung gegenüber den Juden erkennen lassen als diejenigen der höheren Verwaltungsinstanzen. Dies resultiert oft aus einer gröβeren Nähe zu den konkreten wirtschaftlichen Problemen der Bauern und der persönlichen Kenntnis der ortsansässigen jüdischen Bevölkerung. Vgl. Shlomo Simonson und Jacob Toury, Michael. On the History of the Jews in the Diaspora, Tel Aviv 1972–73, Bd 2, S. 82 ff., und die in den Anmerkungen 36 und 50 genannte Literatur.

5 Eine Auswahl der Akten zur preuβischen Politik gegenüber den Juden wird z.Z. von der Historischen Kommission zu Berlin in Zusammenarbeit mit dem Leo Baeck Institute, New York, zur Veröffentlichung vorbereitet. Der sich auf Westfalen beziehende Teil der Akten liegt diesem Aufsatz zugrunde.

6 Petitionen der Stände des 5. Westfälischen Provinziallandtages an Friedrich Wilhelm III., Münster, 21. März 1837, Archiv Landschaftsverband Westfalen-Lippe, A II, Nr 229: “Eurer Majestät getreuen Stände” hätten sich überzeugt, daβ die Juden in vielen Teilen Westfalens (durchgestrichen: fast überall) einen unehrlichen Handel mit Grundstücken trieben, dem nach den bestehenden Gesetzen nicht immer gewehrt werden könne. Die Petition ist auszugsweise gedruckt in Die von den Ministerien dem Preuβischen Landtage zur Begutachtung vorgelegten Gegenstände […], Münster 1839, S. 97f., die Ablehnung S. 143. In einem Separat-Votum zur Petition wird festgestellt, “daβ der Judenwucher wohl nicht so sehr für die Ursache als vielmehr für die Folge der Verarmung der Landleute angesehen werden muβ. Der Bauer, der mit dem Juden sich in Geldgeschäfte einläβt, weiβ recht gut, welchen Gefahren er sich aussetzt. Allein bei gänzlichem Mangel an Real- und persönlichem Kredit ist er – in der Hoffnung auf bessere Zeiten – meistens durch die Not gezwungen, sich dem einzigen, wenn auch wucherischen Kreditor in die Arme zu werfen. Judenschulden gelten bei dem Bauern, dessen Grundstücke bereits verschuldet sind, allgemein für ein Übel; allein für ein unvermeidliches, weil nur der auf wucherliche Zinsen und Nebenverdienst zählende Jude es wagt dem obärirten Grundbesitzer zu leihen. Daβ jener sich in seinen Berechnungen auch oft genug täuscht und sein vorgeschossenes Kapital verliert, ist eine Tatsache, zu deren Beweise vielfache Verarmung sonst wohlhabender Juden auf dem platten Lande im Paderbornschen dienen. Es bedarf ferner einer Berücksichtigung, daβ indem die Juden von dem Ankaufe ländlicher Grundbesitzungen zurückgewiesen werden, die Konkurrenz bei notwendigen Verkäufen vorzöufen vorzüglich kleinerer Besitzungen, nachteilig für Debitor und Kreditoren, wesentlich vermindert wird”. Separat-Votum von Abgeordneten des 5. Westfälischen Provinziallandtages (Anlage zur Petition vom 21. März 1837), Archiv Landschaftsverband Westfalen-Lippe, ebd.

7 Die Beschränkungen der Freizügigkeit, denen die Juden in Preuβen unterworfen waren, verhinderte die Anstellung von “ausländischen” jüdischen Knechten und Mägden. Die strenge Ausweisungspraxis der westfälischen Behörden gegenüber ausländischen Juden erstreckte sich auch auf diese Berufsgruppe. Vgl. Gesuch des Handelsmannes Ludwig Löwenberg an den Landrat zu Warburg, 3. Februar 1837, Staatsarchiv Münster, I L 276. Löwenberg ersucht den Landrat, eine Verfügung zurückzunehmen, nach der er seinen in Hessen geborenen ausländischen Dienstboten Matthias Rosenbaum binnen acht Tagen zur Rückkehr in seine hessische Heimat entlassen solle. Durch die Entlassung würde seine bedeutende Ökonomiewirtschaft sehr behindert, da jüdisches Gesinde nur sehr schwer zu erhalten sei. Der Knecht selbst würde durch früzeitige Entlassung brotlos herumwandern müssen. Löwenberg bittet deshalb, den Matthias Rosenbaum bis Michaelis (dies war der übliche Termin für einen Dienstbotenwechsel) in seinem Dienste behalten zu dürfen. Der Landrat berichtete am 28. März der Regierung zu Minden. Am 9. Juni gibt der Oberpräsident von Vincke seine Entscheidung der Regierung zu Minden bekannt: es sei nachzuforschen, ob der entlassene jüdische Knecht auch wirklich aus dem Lande ausgewiesen worden sei. Staatsarchiv Münster, ebd. In den Entscheidungen der örtlichen Behörden und der Regierungen herrschte die Tendenz vor, die Untertanen zu bevormunden. Oft drückte sich darin die Sorge vor den sozialen Veränderungen im Gefolge einer wachsenden Bevölkerungszahl aus. Während die traditionelle Sozialverfassung das Gefühl vermittelte, den sozialen Wandel beherrschen und steuern zu können, schien Freizügigkeit und Gewerbefreiheit die bedrohlich wirkende Mobilität der unteren Bevölkerungsschichten unkontrollierbar zu machen. Vgl. Alf Lüdtke, “Gemeinwohl”, Polizei und “Festungspraxis”. Staatliche Gewaltsamkeit und innere Verwaltung in Preuβen, 1815–1850, Göttingen 1982, S. 182. Besonders kraβ wirkte die soziale Abwehrbereitschaft gegen die Mobilität von Juden. So finden sich in vielen Eingaben und Entscheidungen der Gewerbepolizei Ressentiments gegen den “Zuzug von Israeliten”.

8 Gesetzessammlung für die Königlich Preuβischen Staaten, Berlin 1846, S. 528.

9 Schwarz, Stefan, Die Juden in Bayern im Wandel der Zeiten, München 1963, S. 181fGoogle Scholar.

10 Puchta, Wolfgang Heinrich, Über die Güterzertrümmerungen und Grundstückshandel besonders in Beziehung auf die Frage: ist es zweckmäβig, den jüdischen Güterhandel auch von Juden oder bloβ von Christen treiben zu lassen?, Erlangen 1816Google Scholar.

11 von Hippel, Wolfgang, Die Bauernbefreiung im Königreich Württemberg, Boppard 1977, Bd 1, S.548Google Scholar.

12 Für Baden vgl. Rainer Wirtz, Widersetzlichkeiten, Excesse, Crawalle, Tumulte und Skandale. Soziale Bewegung und gewalthafter sozialer Protest in Baden 1815–1848, Frankfurt, Berlin, Wien 1981. Für Hessen vgl. Peter Fleck, Agrarreform in Hessen Darmstadt. Agrarverfassung, Reformdiskussion und Grundlastenablösung (1770–1860), Darmstadt 1982. Für das Elsaβ vgl. Marc, Heinrich, “Die Bauern und die Juden im Elsaβ”, in: Telegraph für Deutschland (Hamburg), 1842, S. 377ffGoogle Scholar. Das Elsaβ findet deshalb besondere Erwähnung, weil es in der judenfeindlichen Literatur Deutschlands häufig als besonders krasses Beispiel für die Verarmung eines Landstriches durch angebliche jüdische Wucherpraktiken und Güterschlächterei genannt wurde. Vgl. Szajkowski, Zosa, Agricultural Credit and Napoleon's Anti-Jewish Decrees, New York 1953Google Scholar; Dipper, Christof, Die Bauernbefreiung in Deutschland 1790–1850, Stuttgart 1980Google Scholar.

13 Vgl. Rürup, Reinhard, “DieEmanzipation der Juden in Baden”, in Emanzipation und Antisemitismus. zur, Studien “Judenfrage” der bürgerlichen Gesellschaft, Göttingen 1975, S. 66CrossRefGoogle Scholar.

14 Auf Einzelnachweise der auβerordentlich umfangreichen Literatur wird hier verzichtet.

15 Alle Mcdien der Publizistik nehmen das Motiv “jüdischer Kreditwucher und jüdische Güterschlächterei” auf, incl. Graphik und Karikatur. Ebenso findet es seine literarische Bearbeitung für die Bühne, in der Erzählung und im Roman.

16 Vgl. zum, den Exkurs “Wucher” Toury, bei Jacob, Soziale, und Juden, politische Geschichte der in Deutschland 1847–1871, Düsseldorf 1977, S. 371ffGoogle Scholar.

17 Reekers, Stephanie, “Beiträge zur statistischen Darstellung der gewerblichen Wirtschaft Westfalens um 1800, Teil 1, Paderborn und Münster”, in: Westfalische Forschungen, Bd 17 (1964), S. 86ffGoogle Scholar.; Kochendörffer, H., “Territoriale-entwicklung und Behördenverfassung von Westfalen 1802–1813”, in: Westfalische Zeitschrift, Bd 86 (1929), S. 97ffGoogle Scholar.

18 Johann Nepomuk v.Schwerz, Beschreibung der Landwirtschaft in Westfalen, Reprint der Ausgabe von 1836, Münster 1979, S. 302–396.

19 Die “Zivilprozeβziffer” als Indikator für Konflikt und Krise, berechnet als Verhältniszahl von Verfahren auf je 1000 Einwohner, ergibt für Westfalen einen Wert von 100 gegenüber 27 in Schlesien. Dieser statistische Wert bestätigt die zeitgenössischen Beobachtungen. Vgl. Wollschlager, Christian, “Zivilprozeβstatistik und Wirtschaftswachstum im Rheinland von 1822 bis 1915”, in: Das Profil des Juristen in der europäischen Tradition, hrsg. Luig, von Klaus und Liebs, Detlef, Ebelsbach 1980, S. 371ffGoogle Scholar.

20 Vgl. Lill, Rudolf, “Katholizismus nach 1848”, in: KircheundSynagoge. Handbuchzur Geschichte von Christen und Juden, hrsg. Rengstorf, von Karl Heinrich und von Kortzfleisch, Siegfried, Stuttgart 1968–1970, Bd 2, S. 356ff., S. 391Google Scholar.

21 Blicke ins Talmudische Judenthum. Nach den Forschungen von Dr. K. Martin, Bischof von Paderborn, dem christlichen Volk enthüllt von Prof. Rebbert Paderborn 1876. Zuerst erschien die Schrift in Katholische Vierteljahresschrift für Kunst und Wissenschaft (Köln), Jg. 2 (1848). Im Vormärz wurden die religiös begründeten Vorwürfe gegen die Juden (wie die Beschuldigungen von Christusmord, Brunnenvergiftung und Ritualmorden) durch Angriffe auf den Talmud ergänzt. Judenfeindliche Schriften versuchten, einen Unterschied zu machen zwischen dem früheren gesetzestreuen “mosaischen Judentum” und dem heutigen “verderbten talmudischen Judentum”. Das talmudische Judentum erlaube Übervorteilung und Wucher gegenüber Fremden; ein Eid, vor einer christlichen Obrigkeit abgelegt, sei nicht bindend, und körperliche Arbeit, wie zu Handwerk und Ackerbau erforderlich, sei verachtenswert. Die Eingaben und Beschwerden jüdischer Gemeinden wiesen regelmäβig auf diese Angriffe hin, z.B. Allerunterthänigste Bitte der Juden im Rheinland und Westfalen um Gleichstellung mit den christlichen Glaubensgenossen, Köln, Dezember 1831, Bundesarchiv Koblenz, Rep. 90, 33.

22 Gröne, Wilhelm, “Die Gedankenwelt der Minden-Ravensberger Erweckungsbewegung im Spiegel des Evangelischen Monatsblattes für Westfalen 1845–77”, in: Jahrbuch für Westfälische Kirchengeschichte, Bd 65 (1972), S. 123ffGoogle Scholar.

23 “Was wollen wir Conservativen?”, Flugschrift, Mai 1848Google Scholar, abgedruckt bei Schulte, Wilhelm, Volk, und Staat, . Westfalen im Vormärz und in der Revolution 1848/49, Münster 1954, S. 355ffGoogle Scholar.

24 Vgl. Herzig, Judentum und Emanzipation, S. 83ff., und die dort angegebene Literatur, sowie Watermann, K. F., “Politischer Konservatismus und Antisemitismus in Minden-Ravensberg 1879–1914”, in: Mitteilungen des Mindener Gerichtsvereins, Jg. 52 (1980), S. llffGoogle Scholar.

25 Vgl. Mooser, Josef, Ländliche Klassengesellschaft 17701848Google Scholar. Bauern und Unterschichten, Landwirtschaft und Gewerbe im östlichen Westfalen, Göttingen 1984, Tab. S. 467. Als Minimum für eine voile Ackernahrung im Paderborner Land wird eine Betriebsgröβe von 8 ha angenommen, Mooser, ebd., S. 43.

26 Reinhard Koselleck, Preuβen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848, Stuttgart 1975, S. 528.

27 Zit. bei Mooser, Ländliche Klassengesellschaft, a.a.o., S. 31.

28 Freiherr vom Stein, Briefe und amtliche Schriften, hrsg. von Walther Hubatsch, Stuttgart 1957–73, Bd 1, S. 613. Zu diesem Ergebnis kommt ebenfalls Reekers. “Beitrage, Teil 1”, a.a.o., S. 140.

29 Stein, Briefe und amtliche Schriften, Bd 1, S. 618.

30 Vgl. die Diskussion der westfälischen Berufsstatistik der Juden in Herzig, Judentum und Emanzipation, S. 66ff. Zur Unzuverlässigkeit der Berufsstatistik der Juden in Preuβen – die Bürokratie registriert den Wandel der jüdischen Berufsstruktur nur verspätet – vgl. Strauss, Herbert A., “Pre-Emancipation Prussian Policies towards the Jews 1815–1847”, in: Leo Baeck Institute, Year Book, Bd 11 (1966), S. 107ffGoogle Scholar.

31 Die von den Ministerien den preuβischen Landtagen zur Begutachtung vorgelegten Gegenstande […], hrsg. von Freiherr vom Stein, Münster 1827, S. 53.

32 Zur Preisentwicklung der wichtigsten Agrarprodukte zwischen 1816 und 1848 vgl. Meitzen, August, Der Boden und die landwirtschaftlichen Verhältnisse des Preuβischen Staates, 8 Bde, Berlin 1868–1908, Bd 3, S. 424fGoogle Scholar., und Abel, Wilhelm, Massenarmut, und Hungerkrisen, im vorindustriellen Europa, Versuch einer Synopsis. Hamburg, Berlin 1974Google Scholar.

33 Es werden folgende Prozentsätze der Abgabe an gutsherrlichen “Prästationen” laut Katastereingang genannt: für den Kreis Paderborn 15%, für den Kreis Büren 37%, für den Kreis Warburg 41% und für den Kreis Höxter 28% (die Prozentzahlen sind gerundet). VoB, Anton, “Die Landwirtschaft im Paderborner Lande unter dem Einfluβ der Stein-Hardenbergschen Reformen”, in: Die Warte (Paderborn), Jg. 1 (1933), S. 210Google Scholar.

34 Im Gerichtsbezirk Warburg (ca 22 000 Einwohner) erfolgten 1826 ungefähr 5000 gerichtliche Zwangsmaβnahmen. Diese Zahlen spiegeln die Krise und die Verarmung der bäuerlichen Wirtschaft. Mooser, Ländliche Klassengesellschaft, S. 333. Andere Untersuchungen kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Vgl. Ernst, Ulrich, Die sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Entwicklung des Kreises Warburg im 19. Jahrhundert, Paderborn 1980, S. 65Google Scholar.

35 Schwerz, Beschreibung der Landwirtschaft in Westfalen, a.a.O., S. 315.

36 Waldhoff, Johannes, Die Geschichte der Juden in Steinheim, Paderborn 1980, S. 43ffGoogle Scholar. Der Kreiskommissar zu Minden stellt in einem Bericht an die Regierung zu Minden (7. Februar 1817) fest, gegenüber den Juden seien keine besonderen Klagen erhoben worden, aber ihre Ansiedlung auf dem platten Lande sei ungeeignet, da sie den Land-mann zu unnützen und kostspieligen Ausgaben verleiteten; sie gewährten Kredit, seien aus Konkurrenzgründen zu den anderen Hökern selbst zu langen Kreditzielen gezwungen, schacherten und handelten oft aus Not, könnten selbst ihre Waren nicht bezahlen; der Groβkaufmann wünsche ihre Beschränkung, weil er lieber mit einem Detailhandler handelte als mit vielen. Staatsarchiv Detmold, M 1 IL, Nr 256.

37 Altmann, Berthold, “Jews and the Rise of Capitalism. Economic Theory and Practice in a Westphalian Community” (Paderborn), in: Jewish Social Studies, Jg. 5 (1943), S. 163ffGoogle Scholar.

38 Dem Vorgang wurden verschiedene Namen gegeben, so “Bauernlegen”, in Süddeutschland auch “Hofmetzgerei”, in Westfalen auch,“Bauernschinderei”, so bei Marcard, , “Die Auswanderung im Bauernstand von Minden-Ravensberg”, in: Janus. Jahrbücher deutscher Gesinnung, Bildung und That, Bd 1 (1847), S. 773Google Scholar. Zur judenfeindlichen Agitation Marcards vgl. Herzig, Arno, “DasSozialprofilder jüdischen Bürger von Minden im Übergang vom 18. bis 19. Jahrhundert”, in: Mitteilungen des Mindener Geschichtsvereins, Bd 50 (1978), S. 45ffGoogle Scholar.

39 Vgl. August Freiherr von Haxthausen, Über die Agrarverfassung in den Fürstenthümern Paderborn und Corvey und deren Conflikte in der gegenwärtigen Zeit, nebst Vorschlägen, die den Grund und Boden belastenden Rechte und Verbindlichkeiten daselbst auszulösen, Berlin 1829. Zur arbeitsökonomisch rentablen Mindestgröβe der Felder S. 87f., zur Sorge um die bäuerlichen Abgaben (es wurde befürchtet, die Bodenmobilität würde den Kleinstbesitz weiter zersplittern und so die Leistungsfähigkeit der Höfe schmälern) S. 209f. Ähnlich lauteten die Bedenken in einem Promemoria des Grafen Galen, standischer Deputierter der Ritterschaft bei der Commission zur Beratung des Provinzialrechts, überreicht dem Vorsitzenden der Königlichen Commission Geh, Herrn. Justizrat Schlüter, Münster, 17. 06 1835Google Scholar, Staatsarchiv Münster, A II 154: “Leider sei es bei dem durch hohe Abgaben und niedrige Kornpreise, auch durch den traurigerweise so gestiegenen Luxus gröβtenteils verschuldeten Bauernstande oft der Fall, daβ er in Conkurs gerate, ja von Gesellschaften werde sein Creditlosigkeit benutzt, ihn durch Vorstrecken und plötzliche Kündigung von Capitalien in diese Lage versetzen, und mit den Stücken seines Hofes Wucher zu treiben. Die Festsetzung der Ablösepreise werde dem Landwucher der Gesellschaften – diesem fürchterlichen Industriezweig -Vorschub leisten und die seit Tacitus bestehende Flurordnung Westfalens zerstören. Die Folge wäre, daβ eine allgemeine Verarmung einträte, die die auf dem zerstückelten Land sich ansiedelnden Colonisten ihre oft zahlreichen Familien nicht ernähren können, und falls die einzige Kuh stirbt oder Krankheit in der Familie eintritt, oder eine Miβernte in einem einzigen Jahr eintritt, selbst der untadeligste Mann verarmt und dann von der Communal-Casse erhalten werden muβ”.

40 Joseph von Radowitz, Gesammelte Schriften, Berlin 1852–53, Bd 3, S. 235ff., 247. Diese Meinung lebte auch in der lokalen Geschichtsschreibung fort. Vgl. Steffens, Wilhelm, “E. M. Arndt und Vincke. Ihre Anschauungen über den Bauernstand in den Strömungen ihrer Zeit”, in: Westfälische Zeitschrift, Bd 91 (1935), S. 195ffGoogle Scholar., 251, 266; ders., “Oberprasident Vincke und der 1. Provinziallandtag 1826 zur Judenfrage in Westfalen”, in: Westfalen, Bd 23 (1938), S. 95ff. Schulte, Volk und Staat, a.a.O., S. 112ff., 494ff., schlieβt sich teilweise den zeitgenössischen Meinungen an; dort auch weitere Belege.

41 Die Überhöhung der feudalen Agrarverfassung gegen Liberalismus und Reformgesetzgebung führte zu einer einseitig positiven Beurteilung der westfälischen Untertänigkeit und gehört in die Geschichte der Bauernromantik.

42 Friedrich-Wilhelm Hennig, Bauernwirtschaft und Bauerneinkommen im Fiirstentum Paderborn im 18. Jahrhundert, Berlin 1970, S. 184ff.

43 Die leibeigenen Bauern hatten wie die leibfreien Meier ein erbliches Besitzrecht unter den Bedingungen der ungeteilten Übergabe des Hofes an einen Erben. Im wesentlichen war das Anerbenrecht in Kraft. Der Hof wurde in der Regel dem ältesten Sohn übergeben, der die Geschwister abfinden muβte.

44 Vgl. Mooser, Ländliche Klassengesellschaft, S. 100.

45 Schulte, Volk und Staat, S. 88.

46 Heinz Reif, Westfälischer Adel 1770–1860. Vom Herrschaftsstand zur regionalen Elite, Göttingen 1979.

47 Mit dem Gesetz von 1825 fielen die aus der Gutsherrschaft resultierenden Pflichten sowie einige kleinere Dienste entschädigungslos weg. Alle anderen Leistungen muβten mit dem fünfundzwanzigfachen Jahreswert abgelöst werden. Der Durchschnittspreis für die Berechnung der abzulösenden “Naturalien” wurde aus zwei vierzehnjährigen Durchschnitten gebildet: einer ersten Periode von 1811 bis 1825 und einer zweiten aus den 14 Jahren vor der Beantragung der Ablösung. Dieser Berechnungsmodus modifizierte die hohen Durchschnittspreise der französischen Gesetzgebung. Erst ab 1835 erbrachte die neue Berechnungsmethode eine für die Bauern günstige Korrelation. Einmal ging in die Berechnung das niedrige Preisniveau der zwanziger Jahre ein, zum anderen verbesserten sich die Einkünfte aus den steigenden Preisen der dreiβiger Jahre. Auβerdem hatte sich durch Straβenbau und die Eröffnung von neuen Frucht – und Viehmärkten die Markteinbindung der Region verbessert. Vgl. Mooser, Ländliche Klassengesellschaft, S. 111, und Reif, Westfälischer Adel, S. 232.

48 Reif, Heinz, “Umbrucherfahrung und Konflikt. Adel und Bauern im Münsterland”, in: Deutschland zwischen Revolution und Restauration, hrsg. Berding, von Helmut und Ullmann, Hans Peter, Königstein/Ts, Düsseldorf 1981, S. 228ffGoogle Scholar.

49 Zu den Abgaben traten noch steigende öffentliche Lasten wie die Grundsteuererhö-hung, die Erhöhung der Kommunalabgaben und die steigenden Kosten der modernen Verwaltung. Vgl. Reif, Westfälischer Adel, S. 228, und Mooser, Ländliche Klassengesellschaft, S. 117.

50 Wolff Hellwitz und Isaac Löwenstein, Petition der Vorsteher der jüdischen Gemeinden in den Kreisen Paderborn, Warburg, Büren und Höxter, als Manuskript gedruckt, Paderborn 1837, S.2. Die Eingabe enthält im Anhang die Gutachten von 22 Städten und Dörfern des Paderborner Landes, die den ortsansässigen Juden solides Geschäftsgebaren bescheinigen. Die Einsetzung der Untersuchungskommission ging auf eine Initiative des als Diplomat in preuβischen Diensten stehenden münsterländischen Adeligen Ferdinand von Galen zurück. Er informierte den Kronprinzen persönlich von der Not der Paderborner Bauern. Der Thronfolger sei ganz auβer sich über die unglückliche Situation gewesen und habe darauf gedrungen eine Untersuchung einzuleiten. Vgl. Keinemann, Friedrich, “Zeitgenössische Ansichten über die Entwicklung von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur in den westfälischen Territorien in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts”, in: Westfälische Zeitschrift, Bd 120 (1970), S. 435Google Scholar, und Mooser, Ländliche Klassengesellschaft, S. 120.

51 1843 wurde ein neuerlicher Antrag zu Aufhebung der Kabinettsordre aus dem Jahre 1836 mit der Begründung abgelehnt, diese Beschränkungen seien nicht ausschlieβlich zur Verbesserung der Juden erlassen worden, sondern hätten vielmehr dazu gedient, die neu eingeführte Paderborner Tilgungskasse zu unterstützen. Die Erschwerung des jüdischen Wuchers sei zum Schutz des Instituts nötig gewesen und müsse noch für einige Zeit aufrecht erhalten werden, bis der voile Erfolg der Tilgungskasse gesichert sei. Bericht der Regierung zu Minden an das Ministerium des Innern, Minden den 23.3.1843, Deutsches Zentralarchiv Merseburg, Rep. 77-XXX, Gen. 117, Beiheft II.

52 Hellwitz und Löwenstein, Petition der Vorsteher, S. 8.

53 Zum Beispiel wurden zwischen 1826 und 1836 im Gerichtsbezirk Paderborn 552 Subhastationsverfahren abgewickelt. In neun Fällen sind Grundstücke an jüdische Gläubiger gefallen. Waldhoff, Die Geschichte der Juden in Steinheim, a.a.o., S. 132. Der Kleinkredit, den jüdische Händler den Bauern gewährten, macht plausibel, daβ bei gerichtlichen Zwangsmaβnahmen zudem nur kleine Parzellen in ihren Besitz kamen.

54 “Die Kreditabhängigkeit der Bewohner von den Juden sind Erscheinungen im Gefolge der Armut, z.T. auch im Mangel vorbeugender und abhelfender Staats-Anstalten begründet. […] Man beuge der Armuth vor, entferne die schon eingerissene, schaffe Arbeit und errichte, wo derselben Lohn nicht ausreicht, Unterstützungs-Anstalten; so werden die Klagen über das Unding: Wucher – wo nicht gänzlich wegfallen, doch ungemein sich vermindern.” So urteilt der preuβische Regierungsrat J. J. Esser, Über den Zustand der Israeliten insbesondere im Regierungs-Bezirk Arnsberg, Bonn 1820, S. 34.Der Mindener Regierungspräsident führt in seinem Verwaltungsbericht für das Jahr 1834 die Ursachen der Verarmung auf die Miβernten der Jahre 1833 und 1834 zurück und stellt fest, das Paderborner Land, dessen Bewohner es an jedem anderen Enverbszweige als dem ganz darniederliegenden Ackerbau fehle, zähle zu den ärmsten Gebieten der preuβischen Monarchie überhaupt. Er fährt fort: “Der im vorjährigen Verwaltungsbericht geschilderte trostlose Zustand, der auf den Betrieb der Landwirtschaft beschränkten Eingesessenen der ehemaligen Furstentümer Paderborn und Corvey hat sich leider nicht gebessert, vielmehr haben mehr oder minder allgemeine Miβernten night nur die Kräfte der Staatskasse bedeutend in Anspruch genommen, sondern auch die Not der Bewohner, welche von gutsherrlichen Lasten fast erdrückt und von christlichen und jüdischen Wucherern ausgesogen, die traurige Wahl haben, den Steuerboten oder den Exekutor des Gerichts zu befriedigen und die deshalb in groβer Anzahl jenseits des Meeres einem erträumten Gliicke nachgingen, noch vergröβert.” Zitiert bei Keinemann, Zeitgenössische Ansichten, a.a.O., S. 435.

55 Die Landstände des Paderborner Kreises beantragten – wie die Regierung in Minden hinzufügte: auf Betreiben der Juden – die Aufhebung der für die Kreise Paderborn, Büren und Höxter verhängten Beschränkungen für den jüdischen Handel auf dem Lande. Die Regierung hätte jedoch diesen Antrag nicht befürwortet, u.a. weil die Landstände in Verwaltungsangelegenheiten nicht zuständig seien. Deutsches Zentralarchiv Merseburg, ebd. Vgl. Mooser, Ländliche Klassengesellschaft, S. 118.

56 Eine Studie über die Höhe und die Verwendung der Ablösungskapitalien in Westfalen steht noch aus. Hinweise enthält Reif, Westfälischer Adel, S. 235, und Quellen zur Geschichte der Juden in Westfalen. Spezialinventar zu den Akten des nordrhein-westfälischen Staatsarchiv Münster, hrsg. von Ursula Schnorbus, Münster 1983. Vgl. Harald Winkel, Die Ablösungskapitalien aus der Bauernbefreiung in West- und Süddeutsch-land, Stuttgart 1968.

57 Zur Hypothekensicherheit Bericht des Landrats zu Warburg an die Regierung zu Minden, 20. November 1824, Staatsarchiv Münster, I L 257. Die Zeiten hätten sich so geändert, daβ es bei der herrschenden Geldnot als eine Wohltat angesehen werden muβ, daβ die Bauern noch bei Juden borgen können. Zum Verkauf des Säkularisationsgutes vgl. Reif, Westfälischer Adel, S. 226. Ähnlich war die Situation in Württemberg und Bayern. Auch hier wurden die Juden zunächst aufgefordert, zur Festigung der Preise ihr Kapital in Grundbesitz anzulegen. In einer veränderten Wirtschaftssituation wurde ihnen das Recht auf Grunderwerb wieder eingeschränkt. Zu Wiirttemberg vgl. Jacob Toury, Der Eintritt der Juden ins deutsche Bürgertum. Eine Dokumentation, Tel Aviv 1972, S. 205. Zu Bayern vgl. Carl Gerstdorfer, Der Kampf gegen die Güterzertrümmerung in Bayern, München 1918, S. 9ff., und Schwarz, Die Juden in Bayern, a.a.O., S. 181f. In Preuβen verfolgte Staatskanzler Hardenberg 1810 das Ziel, jüdisches Kapital auf diese Weise volkswirtschaftlich nutzbar zu machen, vgl. Liebeschütz, Hans, “Judentum und deutsche Umwelt im Zeitalter der Restauration”, in: Das Judentum in der deutschen Umwelt 1800–1850, hrsg. Liebeschütz, von Hans and Paucker, Arnold, Tübingen 1977, S. 11Google Scholar.

58 Vgl. Barkai, Avraham, “Sozialgeschichtliche Aspekte der deutschen Judenheit in der Zeit der Industrialisierung”, in: Jahrbuch des Instituts für deutsche Geschichte, Bd 11 (1982), S. 237ffGoogle Scholar.

59 “Die Erfahrung lehre, daβ Juden welche es in den Wissenschaften oder in den sonstigen Gewerben recht weit gebracht haben, wegen der allgemeinen Abneigung gegen dieselben und dem daraus folgenden Mangel und der Not zu dem Handelsgewerbe ihrer Väter haben zurückkehren müssen.” Bericht des Landrats zu Steinlacke an die Regierung zu Minden, 20. August 1824, Staatsarchiv Münster, I L 257. Das bäuerliche Konkurrenzverhalten wurde von der Vertretern der Idee des christlichen Staates politisch interpretiert. Die Synode erwarte, daβ der König sein feierliches Versprechen, den christlichen Staat zu erhalten, nicht brechen würde. Das christliche Volk der Provinz Westfalen lehne fast ungeteilt die Emanzipation der Juden ab. Petition der Kreissynode Minden, die Emanzipation der Juden betreffend, Minden, den 6. September 1843, Deutsches Zentralarchiv Merseburg, Rep. 89, C XIV b, Band II, Nr 2. Zu Nachbarschaft und genossenschaftlicher Produktionsweise vgl. Mooser, Josef, “Gleichheit und Ungleichheit in der ländlichen Gemeinde. Sozialstruktur und Kommunalverfassung im östlichen Westfalen vom späten 18. bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts”, in: Archiv für Sozialgeschichte, Bd 19 (1979), S. 247ffGoogle Scholar.

60 “Die Verächtlichkeit, womit das Volk sie behandelte, drückte sich auch in dem Umgangstone aus, indem man einen Juden nicht anders als mit Du anzureden pflegte, was übrigens auch noch jetzt auf dem platten Land allgemeiner Gebraucht ist. Ein gewöhnlicher Spottname der Juden war Lauf- und Pack-Jude, welcher sich von ihrem beständigen Umherrennen in Handelsgeschäften herschrieb.” So die Beobachtung des Paderborner Justizrats Rosenkranz, G. J., “Über die frühen Verhältnisse der Juden im Paderbornschen”, in: Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Alterthumskunde, Bd 10 (1847), S. 276Google Scholar.

61 Vgl. Reif, Westfälischer Adel, S. 256.

62 Zur Verwendung von Geld in der bäuerlich-gewerblichen Familienwirtschaft vgl. Hans Medick, “Die proto-industrielle Familienwirtschaft”, in Peter Kriedte, Hans Medick, Jürgen Schlumbohm, Industrialisierung vor der Industrialisierung. Gewerbliche Warenproduktion auf dem Land in der Formationsperiode des Kapitalismus, Göttingen 1977, S. 151ff.

63 Vgl. Die Regierung zu Minden an das Ministerium des Innern. Darstellungen der statistisch bürgerlich moralischen Verhältnisse des Judentums im Regierungsbezirk Minden mit geeigneten Anträgen auf eine künftige anderweitige Regulierung desselben, Minden, den 14. Oktober 1817, Staatsarchiv Münster, 2627; Bericht der Regierung zu Münster über den Zustand des Judentums an Oberpräsident Vincke, Münster den 31. Juli 1820, ebd., 2627–1.

64 Die Regierung von Münster 1820: auch reiche Juden lesen für gewöhnlich nur den Talmud und andere jüdische Bücher und kaum eine Zeitung. Die Regierungzu Múnster 1824: die Unsauberkeit und der Schmutz der Juden führe zur Abneigung der christlichen Bevölkerung. Die Juden seien auch deshalb von den Konsumtionshandwerkern fernzuhalten. Ein anderer Grund war, diese Berufe würden zu Handelsgeschäften Anlaβ bieten. Ebd.

65 Die Regierung zu Miinster 1820, a.a.O. Der Pfandwucher sei weit verbreitet; doch nähmen schon so viele Christen daran teil, daβer für kein jüdisches Gewerbe mehr gehalten werden könne.

66 Beispiele für die Verbreitung solcher Verträge gibt Mooser, Ländliche Klassengesell- schaft, S. 337.

67 Vgl. Jürgen Schlumbohm,“Produktionsverhältnisse – Produktivkräfte – Krisen in der Proto-Industrialisierung”, in Industrialisierung vor der Industrialisierung, a.a.O., S. 245.

68 “Mit diesem Judenwucher ist es schon so weit gekommen, daβ in hiesiger Gegend der Stubenofen, der etwa für höchstens 5 Rthlr. zu kaufen ist, selten mehr dem Bauern, sondern dem Juden gehört, der dafÜr eine jährliche Miete von 1 Gulden bis 1 Thaler bezieht. Beim Eintritt der Kälte erscheint der Jude, fordert die Miethe, oder droht den Ofen herausreiβen zu lassen.” Bericht des Grafen zu Bochholtz an die Ritterschaft des Herzogthums Westphalen Über die Beschwerden und Wünsche des Landmanns und den Standtpunkt der Landwirthschaft, (Münster) 1830, S. 92.

69 Bericht des Landrats des Kreises Rahden an die Regierung zu Minden, 6. November 1824, Staatsarchiv Münster, I L 257. Der Landrat stimmt einleitend dem allgemeinen (negativen) Urteil seiner vorgesetzten Behörde über die Juden zu und stellt daraufhin fest, die Juden (46 Familien) des Kreises Rahden böten in diesem Augenblick die auffallende Erscheinung einer Anomalie. Die Anomalie bestehe darin, daβ die Mehrzahl der jüdischen Handelsleute den Ruf der Rechtlichkeit beim Publikum genieβe und daβ Klagen über Wucher und Betrug zu den seltenen Erscheinungen gehörten. Die Juden seien mit wenigen Ausnahmen nicht wohlhabend. Der Wohlstand der wenigen in Betracht kommenden Familien werde ihrem Fleiβe, ihrer Sparsamkeit und Betriebsamkeit, dagegen nicht unlauteren Mitteln zugeschrieben.

70 Das Stadt- und Landgericht Halle schrieb 1832 an die Regierung in Minden: “Die täliche Erfahrung bezeugt es, daβ die meisten Schuldner, selbst diejenigen, die zur Zahlung im Stande sind, ihren Creditoren auf alle mögliche, selbst hinterlistige Art hinzuhalten suchen und ihnen mit Undank lohnen.” Die Heuerlinge suchten Pfändungen dadurch zu unterlaufen, daβ sie ihren Mobiliarbesitz Dritten verschrieben. Am liebsten machten sie Geschäfte mit den Juden, “in der Meinung, daβ, weil diese nach ihrem Dafürhalten gerne betrügen, ihnen das Wiedervergeltungsrecht zustehe und sie ihn [sic] zu überlisten hoffen. Tritt nun das Gegenteil gewöhnlich ein, und sie werden selber betrogen, wer kann sie bemitleiden, daβ sie in ihre eigene Grube fallen?” Zitiert bei Mooser, “Furcht bewahrt das Holz. Holzdiebstahl und sozialer Konflikt in der ländlichen Gesellschaft 1800–1850 an westfälischen Beispielen”, in: Räuber, Volk und Obrigkeit. Studien zur Geschichte der Kriminalität in Deutschland seit dem 18. Jahrhundert, hrsg. von Heinz Reif, Frankfurt 1984, S. 68. Eine ähnlich lautende Feststellung aus Nassau urn 1840 zitiert Toury, Soziale und politische Geschichte der Juden in Deutsch-land, a.a.O., S. 376: “Wahrscheinlichmachen sich die Christen ebensowenig Gedanken daraus, einen Juden zu betrügen, als der Jude den Christen.”

71 Zahlen bei Mooser, Ländliche Klassengesellschaft, S. 118. In den Kreisen Paderborn und Höxter blieben den Bauern 1837 nur 28% bzw. 8% vom Reinertrag, in den Kreisen Büren und Warburg waren die Lasten urn 5% bzw. 39% höher als der Reinerrtrag. Vgl Schulte, Volk und Staat, S. 113.

72 Westphälisches Dampfboot, Jg. 3 (1847), S. 601.

73 Reif, Westfälischer Adel, S. 226f., 239f.

74 Schwerz, Beschreibung der Landwirtschaft in Westfalen, S. 395ff. Vgl. “Die bürgerli-chen Verhältnisse der Juden in Deutschland”, in: Die Gegenwart. Eine encyklopädische Darstellung der neuesten Zeitgeschichte für alle Stände, 12Bde, Leipzig 1848–56, Bd 1, S. 353ff.

75 Wahrlieb, Z.B. Treumund [H. E. Marcard], Darf ein Jude Mitglied einer Obrigkeit sein, der über christliche Unterthanen gesetzt ist? Ein freundliches, schlichtes Wort zu dem deutschen Bürger und Landmann gesprochen, Minden 1843, S. 12Google Scholar. Auffallend ist, daβ Marcard, der in anderen Schriften behauptet, die westfälischen Verhältnisse genau zu kennen, auf die angebliche “Bauern-Schinderei” im Elsaβ verweist. Die Schrift von Marcard, Bauernschinder, Münister, Minden 1844, war mir nicht zugänglich.

76 Ein besonders makabres Beispiel ist die “Vision” Huber, von V. A., “Ein Blick ins Jahr 1945” in: Janus (Halle), Bd 2 (1847), S. 128Google Scholar: Nur ganz alte Menschen sprächen noch Plattdeutsch. Die Bauern hätten schon vor langer Zeit das Eigentum an ihren Äckern verloren und seien Landproletarier geworden. Juda stehe (1945!) auf der Höhe seiner Macht.

77 Die Vorwürfe des “jüdischen Wuchers” in Westfalen weist der Düsseldorfer Regierungsrat H. C. von Ulmenstein zurück: Gegenbemerkungen zu der Schrift des Herrn Geheimen Ober-Regierungsrathes Streckfuβ: Über das Verhältnis der Juden zu den christlichen Staaten, Dresden 1833, S. 24ff.