DIE SELBST VERLEGTE Literatur der 1980er Jahre zeichnet sich auf inhaltlicher und formaler Ebene, aber auch hinsichtlich ihrer Produktion und Rezeption durch einen radikalen Bruch mit den verschiedenen Traditionen der DDR-Literatur aus. Zwischen 1978 und 1990 zirkulierten in der DDR circa dreißig Kleinstzeitschriften, die größtenteils durch die Zusammenarbeit jüngerer Autoren und bildender Künstler entstanden sind.
Die einzelnen Zeitschriften erschienen mit einer Auflage zwischen zwanzig und einhundert Exemplaren, sie zirkulierten vorrangig im Freundeskreis der Autoren und hatten aus diesem Grund eine relativ eingeschränkte Verbreitung. Dennoch ist ihre Wirkung im literarischen Feld der DDR nicht zu unterschätzen. Denn den Autoren und Herausgebern gelang es über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren hinweg, dem offiziellen Literaturbetrieb mit seinen Kontroll- und Zensurinstanzen einen nicht zensurierten Raum künstlerischen Schaffens gegenüberzustellen und neben der „ersten” eine „zweite literarische Öffentlichkeit” zu etablieren. Die in dieser Hinsicht besondere Bedeutung der selbstverlegten Literatur wurde auch außerhalb der DDR wahrgenommen. Schon bald interessierten sich bundesrepublikanische Verlage für die jüngeren Autoren, die sie in Einzelveröffentlichungen und Anthologien dem westdeutschen Publikum als Beispiele einer „anderen” Literatur, einer „anderen Sprache” aus der DDR präsentierten. Nach dem Mauerfall wurde während des deutsch-deutschen Literaturstreits auch die Literatur dieser Generation diskreditiert, als bekannt wurde, dass zwei Protagonisten der unabhängigen Literaturszene (Sascha Anderson und Rainer Schedlinski) als IM für die Staatsicherheit gearbeitet hatten. Diese Debatte kann nicht unerwähnt bleiben, doch wäre es falsch, die gesamte „zweite literarische Öffentlichkeit” als ferngesteuert zu betrachten: zu zahlreich waren die Autoren und Künstler, zu heterogen das Milieu um die unterschiedlichen Zeitschriftenkreise herum.
Bourdieus Theorie des literarischen Feldes, hier auf die DDRLiteratur angewandt, bietet sich besonders an, um den Eintritt dieser neuen Autorengeneration in das Literatursystem der DDR zu analysieren. Denn im Rahmen dieser Theorie wird Literatur als Ausdruck einer Positionierung in einem Spannungsfeld verstanden, das aus den Interaktionen der einzelnen Literaturproduzenten, aus ihren Positionen und Dispositionen entsteht. Gleichzeitig wird die Abhängigkeit des literarischen Feldes von externen Instanzen, seine Beeinflussung durch z.B. ökonomische bzw. politische Macht in Betracht gezogen, wobei die Frage nach der Autonomie des Feldes einen zentralen Stellenwert hat. Insgesamt erlaubt Bourdieus Modell, die Gesamtheit der innerhalb des Feldes vertretenen Positionen differentiell in ihrer Beziehung untereinander und in Bezug auf ihre Haltung zum politisch dominierten Feld der Macht darzustellen.