Abstract: Der Beitrag wendet sich gegen einen Teil der Forschung zu Goethes Der Zauberflöte zweyter Theil (entstanden 1795–1802), der eine ungebrochene Kontinuität zwischen der Zauberflöte von Mozart und Schikaneder und Goethes Fortsetzung annimmt. Es ist These dieses Beitrags, dass sich Goethes Fortsetzung von der Vorlage in einem äußerst maßgeblichen Detail unterscheidet: Während Schikaneders Libretto in einem Kontinuum verankert ist, welches den Zauberbegriff seit dem Barock rationalisiert und empfindsam umgeprägt hat, hat Goethe sich mit seiner Fortsetzung nicht nur graduell von der Tradition eines rationalisierten Verständnisses des Zaubers gelöst, sondern vielmehr kategorisch. Goethes Der Zauberflöte zweyter Theil erweist sich als Absage an eine semantische Tradition, die sich noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in einem inflationären Schrifttum in verschiedensten Dimensionen entfaltet hatte. Um diesen Bruch nachzuweisen, wird der Beitrag eine Einführung in die etablierte semantische Praxis eines ausschließlich wirkungsästhetisch verstandenen Begriffs des “Zaubers” bieten (von Musik/Dichtkunst über Psychologie bis hin zur Anthropologie), die sich teils geographisch, teils gattungsspezifisch ausdifferenziert hat, und von der sich Goethes Verwendung des Begriffs in seiner Zauberflöte dezidiert absetzt.
Keywords: Zauberflöte, Schikaneder, Mozart, Zauber, Semantik, Wirkungsästhetik, Psychologie, Musik, Liebe, Magic Flute, magic, semantics, aesthetics, psychology, music, love
GOETHES DER ZAUBERFLÖTE ZWEYTER THEIL (entstanden 1795–1802) markiert das Ende einer Zeit, die als Rückkehr der Zauberspiele in die Annalen der Theatergeschichte eingegangen ist, wobei sich der Musikzauber als fast wichtigster Gemeinplatz etabliert hat. Dabei scheint sich dieser Diskurs der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in einer Hinsicht nicht maßgeblich vom Spätbarock zu unterscheiden: Mit einer fast naiv anmutenden Ernsthaftigkeit werden noch bei den Enzyklopädisten die Mythen der Zauberkraft der Musik abgearbeitet und bestätigt, und dies bis hin zur “Huldigung der Macht der Musik (als anthropologische Konstante)” in Goethes Novelle. Zwar existieren im 18. Jahrhundert durchaus kritische Gegenstimmen. Indes sind diese eher verhalten. Und, wie ich an anderer Stelle zeige, ist ein Dissens gerade in den letzten zwei Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts tatsächlich auch eine Gattungsfrage: Während im Sprechtheater der Orpheus-Mythos und damit die Macht der Musik ironisch-kritisch relativiert wird, findet letztere sich hingegen im Musiktheater emphatisch bestätigt (von Christoph Willibald Gluck bis Ferdinand Paer).