3 - Der geliebte „Feind“: Wahrnehmung des Anderen in Jesu Gebot der Feindesliebe und ihre Rezeption im Dokument Q – ein Beispiel antiker „Toleranz“ und „Anerkennung“?
Published online by Cambridge University Press: 16 July 2022
Summary
Abstract
The commandment to love one's enemies presupposes that some people are perceived as an enemy, but the commandment also implies that the other ought neither to be excluded nor passively endured. To meet the enemy with love means taking an unconditional concern for the well-being of others both in the context of Jesus's proclamation of the kingdom of God and in the early reception of this memory in document Q.
Keywords: Q document; early Christianity; love; tolerance; recognition
Aufgabe und Thema
Die nicht allein in der neutestamentlichen Exegese viel beachtete Aufforderung Jesu zur Feindesliebe (Q 6,27; Mt 5,44 par Lk 6,27) wird oft als eine utopische Herausforderung oder gar als ein weltfremdes Ideal begriffen, das zur Liebe des Unliebbaren auffordert, nämlich eines die eigene Existenz gefährdenden Feindes. Solche Forderung ist mehr als ein tolerant zu nennender Akt der Duldung des Anderen, vielmehr ein das Selbst gefährdendes Erdulden, und steht im Verdacht, die Grenzen möglicher Toleranz zu überschreiten, bzw. eines Verzichts auf die – beispielsweise in einem demokratischen Politikkonzept – notwendige Streitkultur. Damit werden existenzwahrende Grenzen des Selbstschutzes überschritten, so dass die Forderung im Sinne einer Selbstaufgabe für den Gegner gar nicht gemeint sein kann und damit ausschließlich rhetorisch, vielleicht auch utopisch, jedenfalls hyperbolisch gedacht wäre.
Andererseits setzt die Aufforderung zur Feindesliebe voraus, dass eine andere Person als Feind bezeichnet wird und damit nicht nur anders, sondern zugleich bedrohlich ist. Der Begriff des Feindes bestimmt die Wirklichkeit als eine bedrohte, die allerdings durch die Aufforderung zur Liebe aktiv gestaltet und nicht einfach erlitten wird. Doch zunächst bedient die Aufforderung zur Feindes liebe ein Feindbild , das in der Kürze des Gebotes nicht näher bestimmt ist – kein Motiv beschreibt im Appell den Feind näher; ob der römische Eindringling, der religiöse Opponent oder ein innergesellschaftlicher Konflikt bedacht wird, bleibt in der Kürze der Mahnung offen. Der geschilderten Kritik an einem undifferenzierten Erdulden steht auf der anderen Seite ein scheinbar ebenso undifferenzierter Begriff von Abgrenzung gegenüber.
Soziologische Feldforschung und Studien haben gezeigt, dass die Aufgabe und Funktion von Feindbildern in der Ausbildung von Identität durch die stereotype Abgrenzung der Anderen zugunsten der Mitglieder einer Gruppe besteht.
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- Publisher: Amsterdam University PressPrint publication year: 2021